Mittwoch, 2. September 2009

BIOGRAFIE

Frühe Kindheit in Prag (1875-1882)
 

René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag geboren. Sein Vater Josef Rilke (1838-1906) ist nach einer gescheiterten Militärlaufbahn Beamter in einer Prager Eisenbahngesellschaft. Die Mutter Sophie (1851-1931) ist Tochter eines Kaufmannes und Kaiserlichen Rats. Sie fühlt sich unter ihrem Stande verheiratet und trennt sich 1885 von ihrem Mann, um in die Nähe des Kaiserlichen Hofes nach Wien zu ziehen. Auch das Verhältnis zu ihrem Sohn ist gespannt. Sie zieht René bis zu seiner Einschulung als Mädchen groß - mit Puppen, Kleidchen und langen Zöpfen.

Schulzeit (1882-1895)


Seine ersten vier Schuljahre verbringt Rilke auf einer katholischen Klosterschule in Prag. Er ist ein guter Schüer, aber weil ein Gymnasium zu teuer ist, soll er die Offizierslaufbahn einschlagen. Er kommt auf eine Militärschule in Österreich. Auch hier schneidet Rilke in den theoretischen Fächern sehr gut ab. Die körperlichen Anforderungen und der rauhe Umgang der Mitschüer sind für den sensiblen Jungen jedoch eine wachsende Belastung. Nach der Versetzung auf die Militär-Oberrealschule 1890 sind seine Kräfte schließlich erschöpft. Rilke bricht die Ausbildung ab.
Gesundheitlich kuriert kommt René auf Beschluß der Eltern im Herbst 1891 auf die Handelsschule in Linz. In dieser Zeit veröffentlicht er sein erstes Gedicht in einer Zeitung, und er fixiert sich immer mehr auf die Literatur. Die Schule bricht er nach einem Jahr endgültig ab, um 1892 für Privatstudien nach Prag heimzukehren. Mit der finanziellen Unterstützung eines Onkels holt er in drei Jahren das nötige Wissen nach, und er besteht die Reifeprüfung 1895 "mit Auszeichung". Darauf schreibt sich René an der Prager Universität ein für die Fächer Geschichte, Kunst und Literatur. Auf elterlichen Wunsch belegt er auch ein Semester Rechtslehre.

München (1896-1899)


1896 geht Rilke als Student der Philosophie nach München, damals ein kosmopolites Zentrum. Im folgenden Jahr lernt er die 36-jährige Lou Andreas-Salomé kennen. Die Tochter eines Petersburger Generals und einer Deutschen ist eine schillernde Persönlichkeit der Münchner Geisteswelt. Sie hat sich literarisch bereits mit mehreren Büchern etabliert. So ist Lou die Autorin der ersten Biografie Friedrich Nietzsches, mit dem sie eine vorübergehende, enge Freundschaft verbunden hatte. Als Rilke sie trifft, ist sie bereits zehn Jahre mit dem Orientalisten Friedrich Karl Andreas verheiratet. In ihrem Verhältnisses mit dem jungen Dichter ist sie Rilke Geliebte, mütterliche Freundin und intellektuelle Lehrerin zugleich. Sie vermittelt ihm Nietzsches Gedankenwelt und begeistert ihn für ihre Heimat, Rußland. Unter Lous Einfluß ändert er selbst seine Handschrift und den Vornamen (von "René zu "Rainer").


Rußlandreisen (1899-1900)
Gemeinsam mit dem Ehepaar Salomé bereist Rilke im Frühling 1899 zum ersten Mal Rußland. In Moskau und St. Petersburg besichtigt er Museen und trifft Maler und Schriftsteller (u.a. Leo Tolstoi). Nach seiner Rückkehr verfaßt Rilke Gedichte für das "Buch der Bilder" und das "Stundenbuch", er schreibt das Prosawerk "Geschichten vom Lieben Gott" sowie seinen Erfolgsband "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke". Im Mai 1900 fährt er wieder nach Rußland, diesmal mit Lou allein. Sie besuchen Moskau und St. Petersburg und reisen durch die Provinz. Rilkes Eindruck von Rußland ist der eines einfachen, ursprünglichen und unverdorbenen Landes, in dem Glaube und Brüderlichkeit die Menschen zusammenhält. Die soziale Not dieses Landes übersieht er, obwohl er die Sprache einigermaßen beherrscht und von einer Russin begleitet wird.

Worpswede (1900-1904)

 
Bald nach der Heimkehr besucht Rilke die Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen. Er will dort gemeinsam mit dem Maler Heinrich Vogeler den Gedichtband "Mir zur Feier" fertigstellen. Bei den dortigen Künstlern findet er schnell Resonanz, und so zieht Rilke 1901 ganz in das Dorf. Er lernt die Bildhauerin Clara Westhoff kennen, eine ehemalige Schülerin von Rodin. Im April 1901 heiraten die beiden. Im selben Jahr kommt die Tochter Ruth zur Welt. Es stellt sich aber kein Familienleben ein. Man beschließt, sich in Freundschaft zu trennen, auf daß man voneinander ungestört seiner Arbeit nachgehen könne. Die Künstler, mit denen er in der Moor- und Heidelandschaft lebte, stellt Rilke in der Monographie "Worpswede" dar.

Paris (1904-1914)

 
Rodin, der auch der Lehrer von Clara Westhoff war, soll die prägende Person in Rilkes nächstem Lebensabschnitt werden. Mit dem Auftrag, eine Monographie über den Bildhauer zu schreiben, begibt sich dieser im August 1902 nach Paris. Rodin ist 35 Jahre älter als Rilke, ein etablierter und vielbeschäftiger Künstler. Aber er nimmt sich Zeit für den jungen deutschen Dichter, der noch Probleme mit dem Französischen hat. Rilke ist bald ein regelmäßiger Gast in Rodins Atelier. Der Bildhauer vermittelt ihm sein Kunstverständnis und vor allem seine Arbeitsmoral: "Il faut travailler, rien que travailler, et il faut avoir patience." Die Verschiedenheit der Temperamente belastet jedoch die Beziehung, und so kommt es 1906 zu einem Bruch. Man versöhnt sich im folgenden Jahr, und Rilke wird noch einmal Rodins Sekretär, aber 1907 folgt das endgültige Zerwürfnis.
Zu Zeiten ihrer Freundschaft weist Rodin ihn in die Kunststadt Paris ein. Mit ihrem unerschöpfliches Reservoir an schönen Eindrücken in Museen, Parks und Boulevards versorgt diese den Dichter mit Motiven für seine "Dinggedichte", wie "Das Karussell" oder "Archaïser Torso Apollos". Rilke veröffentlicht diese Eindrücke in den Bänden Neue Gedichte und "Der neuen Gedichte anderer Teil". Das Paris der Jahrhundertwende ist aber auch eine moderne, anonyme Metropole, an deren Rohheit Rilke zu zerbrechen droht, wie zuvor in der Militärakademie. Das Elend des mechanisierten Großstadtlebens ist ein Hauptmotiv des Romans "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge".

Weitere Reisen
Während seiner Pariser Jahre reist Rilke viel. Ab 1903 hält er sich häufiger in Italien auf. In dem Badeort Viareggio schreibt er das "Stundenbuch", von September 1903 bis Juni 1904 fährt er mit Clara nach Rom, und in den Jahren 1906 bis 1908 besucht er wiederholt Capri. Schweden und Dänemark sind 1904 seine Ziele. 1905 berichtet er über die Samskola. Im Sommer 1906 besucht er in Flandern u.a. die Orte Furnes und Brügge. Nach einem weiteren Rombesuch fährt er an die Adria nach Duino. Dort empfängt ihn die Fürstin Marie von Thurn und Taxis auf ihrem Schloß . Zwischen dem Dichter und der Dame entsteht eine lebenslange Freundschaft, und das fürstliche Anwesen wird 1912 Enstehungsort der ersten zwei "Duineser Elegien". Im November 1910 macht Rilke sich zusammen mit Freunden nach Nordafrika auf. Man durchquert es von Algier über Tunis nach Kairo, um dann den Nil hoch zu fahren bis hinter Luxor und Assuan. Rilke beeindrucken der ägyptische Totenkult und die altägyptische Plastik, aber ihm scheint die Reise im Nachhinein doch als etwas "verfehltes". Erfreulicher ist die Fahrt nach Spanien im Jahre 1912: Auf den Spuren des Malers El Greco zieht es Rilke nach Toledo und in den Süden des Landes. Neben der Kunst fasziniert ihn das Nebeneinander von Katholizismus und Islam sowie natürlich die Spanische Landschaft.

Krieg und Revolution (1914-1919)
 
Als der erste Weltkrieg ausbricht, weilt Rilke gerade in München. Die Katastrophe trifft ihn völlig unerwartet: In Paris hat er eine vollständig eingerichtete Wohnung zurückgelassen. In einer ersten Euphorie spricht er dem Krieg eine mythische Größe zu. Angesichts der Brutalität der Geschehnisse ändert er schnell seine Meinung. Im ersten Kriegsjahr beschäftigt ihn allerdings vor allem eine Kurbekanntschaft, mit der er sogar kurzfristig zusammenzieht: Es ist die 23-jährige, verheiratete Malerin Lulu Albert-Lasard, die ihn auch zu einigen Gedichten inspiriert, wie "Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens". Rilkes Produktivität wächst zum Herbst 1915, als er die Vierte Duineser Elegie verfaßt. Es folgt eine Krise, die ein mehrjähriges künstlerisches Verstummen Rilkes hervorruft: Die Verpflichtung in den Dienst der österreichischen Armee. Nach einer dreiwöchigen für ihn verheerenden Drillzeit im Januar 1916 kommt er in das österreichische Kriegsarchiv. Dank seiner einflußreichen Freundinnen und Freunde wird er schon im Juli 1916 aus dem Militärdienst entlassen. Das Ende des Krieges und die revolutionäre Zeit danach lassem ihm jedoch auch als Zivilisten keine Ruhe für weitere literarische Arbeiten. Statt dessen bemüht er sich, das Zeitgeschehen nachzuvollziehen, liest viele Zeitungen und diskutiert die Wandlungen in Briefen. Er unterhält Beziehungen zu allen politischen Lagern, vom Hochadel bis zu sozialistischen Revolutionären. So kommt es u.a. zu mehreren Durchsuchungen seiner Wohnung.

Die letzten Jahre in der Schweiz (1919-1926)

 
Äußerer Anlaß für Rilkes Umzug in die Schweiz ist die Einladung eines Lesezirkels zu einer Vortragsreise. Im August 1919 schreibt er in Soglio das"Ur-Geräusch". Rilke nutzt die Reise in die Schweiz als Gelegenheit, eine Zäsur zu machen. Nach dem Zerfall des Habsburger Vielvölkerstaates ist sein Paß ungültig. So beantragt der gebürtige Prager die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, die er 1920 erhält. Er reist viel herum, fährt nach Venedig und Paris. Nach Deutschland kehrt er nicht zurück. Den Winter 1920/21 verbringt Rilke unproduktiv in einem Schloß im zürcher Weinland. Im folgenden Frühling findet er ein Heim, das ganz seinen Bedürfnissen entspricht: Einen heruntergekommenen Turm aus dem 13. Jahrhundert, einsam gelegen im Rhône-Tal. Bevor der Dichter einzieht in den "Turm von Muzot" (sprich: "Müsott"), wird dieser noch schnell renoviert und mit einer Haushälterin besetzt. Jetzt gilt es, die Arbeit zu vollenden, von der ihn die Einberufung zum ersten Weltkrieg weggerissen hatte und für die er danach nie wieder die Konzentration fand: Die Duineser Elegien. Der Bann hält bis zum Februar 1922. In diesem Monat verfaßt Rilke von 2. bis zum 5. zunächst 26 "Sonette an Orpheus", vom 7. bis 14. die sechs fehlenden Duineser Elegien und vom 15. bis zum 23. weitere 29 Sonette an Orpheus. In den folgenden Jahren bleibt Muzot Rilkes Rückhalt. Von dort reist er viel umher, um Freunde zu besuchen, und verbringt eine glückliche Zeit. Er verfaßt weitere Gedichte, teilweise in Französisch. 1925 verbringt er noch einmal einen Frühling in Paris. Dort wird er wo der Dichter von Literaten wie André Gide und Paul Valéry gefeiert. Eine Krankheit, wegen der Rilke schon seit 1923 immer wieder zu Aufenthalten im Sanatorium gezwungen war, erfordert jedoch seine plötzliche Abfahrt. Sein Zustand verschlimmert sich 1926 weiter. Er bleibt in der Schweiz und kommt im Dezember in das Sanatorium von Val-Mont. Am 29. Dezember 1926 stirbt Rilke an Leukämie. Am zweiten Januar 1927 wird er in Raron im Kanton Wallis beigesetzt. Sein Grabspruch lauet auf eigenen Wunsch:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.